1920–1933: Oskar Schlemmer. Der Mensch in der Geometrie

1920–1933: Oskar Schlemmer. Der Mensch in der Geometrie

Kategorie: Kunstgeschichte / Bauhaus / Tanz / Skulptur
Lesezeit: 7 Min


I. Einführung: Der Homo Figurativus

Oskar Schlemmer (1888–1943) war einer der radikalsten Denker und Lehrer am Bauhaus. Er sah seine Arbeit nicht nur als Malerei oder Skulptur, sondern als eine philosophische Untersuchung des menschlichen Körpers in architektonischen und kosmischen Dimensionen. Während andere Bauhaus-Meister sich auf das Design von Objekten konzentrierten, erforschte Schlemmer die Beziehung zwischen Mensch und Raum als reine, geometrische Form.

Seine Vision war die des Homo Figurativus – des Menschen, der durch mathematische Ordnung und Tanz zur Essenz der Existenz findet.

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II. Die Bühnenwerkstatt: Labor des Körpers

Schlemmer leitete von 1921 bis 1929 die Bühnenwerkstatt des Bauhauses und machte sie zum Labor für kinetische und performative Kunst. Er lehrte, dass der Raum nicht leer ist, sondern ein aktives Medium, das auf den Körper einwirkt.

Er reduzierte die menschliche Figur auf elementare geometrische Formen – Kugel, Würfel, Zylinder – um ihre universelle Bedeutung zu betonen. Die Kostüme seiner Performances waren oft skulptural und behinderten bewusst die natürlichen Bewegungen der Tänzer, um sie zur Konzentration auf die pure Form zu zwingen. Dies war eine direkte Kritik an der psychologischen Subjektivität des Expressionismus.

„Die Bühne ist die Metaphysik der modernen Kunst.“

Oskar Schlemmer

III. Das Triadische Ballett: Die Synthese der Künste

Schlemmers Meisterwerk ist Das Triadische Ballett (1922), das eine Synthese aus Tanz, Kostüm und Musik darstellt.

  • Triadisch (Dreifach): Es besteht aus 3 Akten, 3 Tänzern (eine Frau, zwei Männer) und 12 Tänzen.
  • Form: Die Kostüme verwandelten die Tänzer in “begehbare Skulpturen”. Sie waren aus Pappe, Metall und Holz gefertigt und betonten mechanische, rhythmische Bewegung anstelle von emotionalem Ausdruck.

Das Ballett war eine tiefgreifende spekulative Arbeit über die Mechanisierung des Menschen im Industriezeitalter und die Suche nach spiritueller Ordnung durch geometrische Präzision.

IV. Malerei und Skulptur: Die Architektur des Gesichts

In seiner Malerei setzte Schlemmer diese Themen fort. Seine Gemälde zeigen stilisierte, oft gesichtslose Figuren, die in architektonische Gitter und farbige Ebenen eingebettet sind (z.B. Bauhaus Treppe). Das Fehlen individueller Züge macht die Figuren zu universellen Archetypen.

Er schuf einen Raum, in dem Rationalität und Mystik koexistierten. Die Gesichter sind oft von Masken verdeckt, was auf die Entfremdung des modernen Menschen und die Notwendigkeit einer neuen, universellen sozialen Form hinweist.

V. Fazit: Der Utopische Pädagoge

Schlemmer war ein utopischer Pädagoge, der glaubte, dass Kunst die Gesellschaft durch die Lehre der Harmonie zwischen Körper und Kosmos heilen könnte. Seine Bühne war ein Versuch, die menschliche Figur in eine zeitlose, universelle Konstante zu verwandeln. Sein Werk bleibt einflussreich für das Verständnis der Verkörperung der Abstraktion und der Performancekunst des 20. Jahrhunderts.

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Oskar Schlemmer - From The stage at the Bauhaus Die Buehne im Bauhaus 1925 Oskar Schlemmer - "Bauhaustreppe" Title Photo for Article about Oskar Schlemmer - Femme Genesis